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Texte zu Kunst und Philosophie
ISSN 1437-3777

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Werner Brück: Patrizia Kardas kommissarischer Blick.

Karda, Patrizia: Salon III ... 2003, Lambdaprint auf Alu, 65 x 80 cm.

Die Fotografin Patrizia Karda wirft der Betrachtung Realitätsfragmente vor, die anscheinend deren eigene Bildwürdigkeit negieren. Ganze Dörfer stehen zum Abbruch bereit. Miefige Hotels gammeln im Halbdunkel. Schutthalden, Parkhäuser bilden Topografien des - Nichts. Doch das Fehlen von Belang zeigt, dass lebensweltliche Relevanz als Resultat von Bilderzählungen gesucht wird. Indem Patrizia Karda auf Handlungsträger und kausalplausible Biografien verzichtet, stößt sie rezipientenbasierte Rekonstruktionen des Geschehenen an.

Karda, Patrizia: Salon II ... 2003, Lambdaprint auf Alu, 80 x 100 cm.

Farbfilm schafft Realität, Überbelichtungen und Unterbelichtungen akzentuieren diese. Schrägsichten in Bildräume oder auf Wandflächen, die Authentizität der Wahllosigkeit und ein gesteigerter Objektivitätsanspruch wechseln sich ab mit gewissenhaft ausgerichteten Kamerablicken. Dann wird die Zentralperspektive betont, bildräumliche Konzentration vorgenommen. Horizontale Schichtungen strukturierter Bildflächen variieren mit motivationslos geschilderter Tiefenerstreckung, für die üblicherweise vermittlende Staffagefiguren bereitgehalten werden. Es sind die Staffage-, die Repoussoir- und die Erzählerfiguren, die in Patrizia Kardas Bildern fehlen und die uns die Kontexte vermitteln könnten. Anorganisch-kristallin rahmen winkelige Formen zentrale Bildleere, erzeugen starre Rahmen, die menschliche Bewegung allenfalls aussonderten, wo und so sie denn vorhanden wäre.

In Marias Schuppen aus der Serie Garzweiler Dörfer, 2007, fehlt gerade jene Maria, von der die Rede ist. Im Nagelraum sind zwar Nägel an der Wand zu sehen, jedoch nicht die Person, die sie eingeschlagen hat. Bildraum wird entleert, Zeugnisse des Lebens ehemaliger Raumnutzer auf merkwürdige Schwerpunktsetzungen reduziert. Nagelraum kann sich ja auch auf die Tätigkeit des Nagelns, auf ein akthaftes Tun beziehen. Wer hat eigentlich die Sofas in Sessel Nr. 15 aus der Serie Hotel Palace, 2007, nummeriert und deren Bestandteile auf den großen Haufen geworfen? Aus der Nichtung von Lebenssituationen resultieren Privationszustände. Umso mehr, als dass die Requisiten zum alltäglichen Gebrauch bereitstehen, der jedoch nicht stattfindet. Ein Vorgehen, das es zwar ermöglicht, Bildräume zu betreten, in deren Zugang wir aber einsam bleiben. Ehedem gesellschaftlich genutzte Interieurs eigenen sich dazu sehr gut. In der Reihe Salons, 2003, hier Salon III und Salon Klavier, öffnen die Bildräume nicht nur zum Betrachter, sondern auch in die Bildtiefe. Durch große Türen dringt Licht. Es bestünde prinzipiell also schon die Möglichkeit, nach den anderen Räumen vorzudringen, wo es jenes Leben hätte, das dem gezeigten Bildraum mit seiner festen Raumgrenze fehlt.

Patrizia Kardas Tatortfotografien beschreiben einen Zwischenzustand aus vergangenem Leben und dessen zukünftiger Erklärung. Leben kommt erst dann zu sich, wenn eine plausible Biografie es als solches strukturiert, die in den Bildern jedoch (noch) nicht west. Tatortbilder handeln vom Tod als Zustand entleerter Sinnzusammenhänge.

Karda, Patrizia: Salon I ... 2003, Lambdaprint auf Alu, 65 x 74,5 cm.

Sessel Nr. 15 wurde 2008 in Köln auf Packpapier gehängt, in einer Installation namens Vintage Bling Bling, Galerie Marion Scharmann, mit Kristallgläsern auf Verpackungskartons, auf denen Adressetiketten klebten. Ein Umzug, ein Übergang zwischen Vergangenheit und Zukunft. Aus gezeigtem Geschehnis wurde da Handlung im plausiblen Kontext szenischer Stellungnahme. Die Installation im situativ verortenden Kontext hebt die vermeintliche Wahllosigkeit der Bildwelten des Verfalls in den Fotografien auf. Durch die Installation wird eine chronologische Ordnung angeboten, als Teil eines äußeren kompositorischen Zusammenhanges.

Dass jedoch in den Fotografien die bildliche Verdichtung eines der Zeit enthobenen Momentes stattfindet, der sich weder als von Vergangenheit bedingt erweist, noch Zukunft andeutet, entspricht einer Auffassung von Belichtungszeit als Willkürakt des Auslösens für Sekundenbruchteile. Dieses Konzept steht im Gegensatz zum Anspruch eines moment decicif (Henri Cartier-Bresson) zwischen Vergangenheit und Zukunft als ursprünglich peripetieartigem Konzept. Die geforderte Erstformulierung eines integrativen Sinnzusammenhanges durch die Betrachtung bewirkt die Konstruktion von Zeit in der Betrachtung. Betrachtungszeit dient als Index der Bildzeit. Die Betrachterin wird zur agierenden Kommissarin. Jene erforscht die tatorthafte Unordnung und sucht Vergangenes zu erschließen. Handeln erfolgt damit in der Betrachtung, nicht im Bild.

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